Was bedeutet "sexuelle Orientierung"?
Die sexuelle Orientierung ist eine von vier Komponenten der sexuellen Identität. Man versteht darunter eine langfristige emotionale und sexuelle Anziehungskraft bzw. die Zuneigung zu Partnerinnen / Partnern eines bestimmten Geschlechts.
Die vier Komponenten der sexuellen Identität sind:
Man unterscheidet gewöhnlich drei verschiedene sexuelle Orientierungen:
Personen mit homosexueller Orientierung werden häufig als schwul bzw. lesbisch bezeichnet.
Die sexuelle Orientierung kann sich von der gelebten Sexualität unterscheiden, weil sie sich auf die Gefühle und das innere Konzept eines Menschen beziehen. Eine Person kann, muss aber nicht, ihre sexuelle Orientierung in ihrem Verhalten ausdrücken.
Wie entsteht eine bestimmte sexuelle Orientierung?
Wie eine bestimmte sexuelle Orientierung entsteht, ist bis heute noch nicht schlüssig geklärt. In den verschiedenen Theorien werden unterschiedliche Faktoren genannt, z.B. genetische (angeborene) hormonelle Faktoren oder Erfahrungen im frühen Kindesalter. Wie auch immer, viele Wissenschaftler glauben, dass die sexuelle Orientierung bereits im frühesten Kindesalter definitiv festgelegt ist und auf einem komplexen Zusammenspiel einer ganzen Reihe von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren beruht.
Ist die sexuelle Orientierung "gewählt"?
Nein.
Die sexuelle Orientierung wird den meisten Menschen in der frühen Pubertät
bewusst, in der Regel lange vor der ersten sexuellen Erfahrung.
Manche berichten, dass sie erfolglos während vieler Jahre ihre sexuelle
Orientierung von homosexuell zu heterosexuell zu ändern versuchten. Die
meisten Psychologen und Psychiater sind der Meinung, dass die sexuelle Orientierung
nicht eine "bewusste Wahl" ist und folglich auch nicht willentlich
geändert werden kann.
Ist Homosexualität eine Geisteskrankheit oder ein psychisches Problem?
Weder noch.
Psychologen, Psychiater und andere Profis in Sachen psychische Gesundheit sind
sich einig, dass Homosexualität weder eine Krankheit, eine Geisteskrankheit
noch per se ein psychisches Problem ist. Die Forschung hat beschrieben, dass
Homosexualität an sich nicht zu emotionalen oder sozialen Problemen führt.
Früher wurden in Studien nur Lesben und Schwule untersucht, welche bereits
in einer (psychiatrischen oder psychologischen) Behandlung waren. Die Geisteswissenschaftler
waren deshalb in ihren Folgerungen voreingenommen und kamen aus diesem Grund
zum falschen Schluss, dass es sich bei der Homosexualität um eine Geisteskrankheit
handeln müsse. Seit aber auch Schwule und Lesben untersucht und befragt
werden, welche sich nicht in einer Therapie befinden, zeigte sich, dass Homosexualität
keine Krankheit ist und nicht behandelt werden kann und muss.
Im Jahre 1973 bekräftigte
die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft (American
Psychiatric Association) die Notwendigkeit der neuen unvoreingenommen Erforschung
der Homosexualität dadurch, dass sie den Begriff "Homosexualität"
aus der offiziellen Liste der Geisteskrankheiten strich. 1975 verabschiedete
die Amerikanische Psychologische Gesellschaft (American
Psychological Association) eine Resolution, welche diese Entscheidung unterstützt.
Die beiden Organisationen kämpfen seither bei ihren Berufskollegen gegen
das Stigma, Homosexualität sei eine Geisteskrankheit oder sexuelle Deviation,
die aus der Welt geschaffen werden müsse.
1992 hat die letzte wichtige Organisation, die "World
Health Organization" (WHO), Homosexualität aus dem Katalog der
Krankheiten gestrichen.
Können Schwule und Lesben gute Eltern sein?
Ja.
In Studien wurden Kinder, welche von Schwulen und Lesben aufgezogen werden,
mit Kindern verglichen, welche von heterosexuellen Eltern aufgezogen werden.
Man konnte keine Unterschiede bezüglich Intelligenz, psychischer Entwicklung,
Sozialverhalten, Beziehung zu anderen Kindern, Entwicklung der sexuellen Identität
oder sexuellen Orientierung feststellen.
Eine weitere Stereotypie über Homosexuelle ist die falsche Behauptung,
dass schwule Männer die Neigung hätten, häufiger Kinder zu missbrauchen
als heterosexuelle Männer; diese Aussage ist ausschliesslich diskriminierend
und beruht nicht auf wissenschaftlichen Daten.
Warum erzählen manche Schwule und Lesben anderen Leuten von ihrer sexuellen
Orientierung?
Es kann für die psychische Gesundheit von Schwulen und Lesben wichtig sein, diesen Aspekt ihres Lebens mit anderen Leuten zu teilen. Man hat herausgefunden, dass der Prozess der Identitätsfindung - wozu auch das "Coming Out" gehört - für das psychische Gleichgewicht sehr wichtig ist. Je positiver die eigene schwule oder lesbische Identität empfunden wird, desto besser ist die psychische Gesundheit und desto höher ist die Selbstachtung.
Warum ist das "Coming Out" für manche Schwule und Lesben schwierig?
Weil ihnen viele falsche
Stereotypien und unbewiesene Vorurteile entgegengebracht werden, kann das "Coming
Out" für Schwule und Lesben zu einem sehr schwierigen und schmerzlichen
Prozess werden. Schwule und Lesben fühlen sich oft "anders" und
"alleine", wenn sie sich das erste Mal ihrer gleichgeschlechtlichen
Neigung bewusst werden. Viele fürchten, von der Familie, den Freunden und
Arbeitskollegen zurückgewiesen zu werden, wenn sie sich als Homosexuelle
zu erkennen geben.
Zusätzlich sind Homosexuelle häufig Opfer von Diskriminierung und
Gewalt durch heterosexuelle Mitmenschen. Diese Bedrohung behindert die schwule
oder lesbische Entwicklung.
In einer amerikanischen Untersuchung aus dem Jahre 1989 wurde gezeigt, dass
5% der Schwule und 10% der Lesben innerhalb eines Jahres in irgendeiner Form
Opfer von antischwuler oder antilesbischer Gewalt wurden. 47% berichteten von
Diskriminierung während ihres Lebens. In anderen Untersuchung konnten ähnliche
Zahlen gewonnen werden.
Wie kann man Schwulen und Lesben helfen, Vorurteile und Diskriminierung zu überwinden?
Jene Leute haben die positivste
Einstellung zu Schwulen und Lesben, welche selber eine oder mehrere homosexuelle
Personen gut kennen. Darum nehmen Psychiater und Psychologen an, dass die schlechte
Meinung über Homosexuelle meist auf Vorurteilen und nicht auf eigenen Erfahrungen
mit Schwulen oder Lesben beruht.
Anders ausgedrückt: je mehr Schwule und Lesben jemand kennt und je mehr
sie / er über Homosexualität weiss, desto positiver ist sie / er eingestellt.
Kann in einer Therapie die sexuelle Orientierung geändert werden?
Nein
Auch wenn Homosexualität keine Geisteskrankheit ist und kein wissenschaftlicher
Grund besteht, Homosexuelle in Heterosexuelle "umzupolen", kommt es
immer wieder vor, dass jemand die eigene sexuelle Orientierung oder diejenige
eines anderen Menschen (z.B. die des eigenen Kindes) ändern möchte.
Es gibt sogar Therapeuten, welche solche Therapien durchführen und auch
über erfolgreiche Wechsel der sexuellen Orientierung berichten. Genaue
Untersuchung dieser Berichte wecken aber Zweifel an der Richtigkeit: viele Meldungen
stammen nicht von Psychiatern oder Psychologen, sondern von Organisationen,
welche aufgrund ihrer Ideologie die sexuelle Orientierung von homosexuell zu
heterosexuell umpolen wollen. Behandlung und Ergebnis sind kaum dokumentiert,
und die Zeit, in welcher die "erfolgreich Behandelten" nachkontrolliert
werden, ist viel zu kurz.
1990 hat die Amerikanische Psychologische Gesellschaft festgestellt, dass kein
wissenschaftlicher Beweis den Wechsel der sexuellen Orientierung durch eine
Therapie belegt. Eine solche "Therapie" bewirkt in den meisten Fällen
mehr Unheil als Heil. Der Wechsel der sexuellen Orientierung wäre eben
nicht nur ein Wechsel des sexuellen Verhaltens, es müssten auch die gesamte
Gefühlswelt, das Konzept, das jemand von sich selber hat, und die soziale
Identität geändert werden. Es stellt sich sogar die Frage, ob es ethisch
überhaupt vertretbar ist, etwas zu "therapieren", das keinen
Krankheitswert hat und für die persönliche Identität der Person
von grösster Bedeutung ist.
Nicht alle Schwulen und Lesben, welche sich in eine Therapie begeben, wollen ihre sexuelle Orientierung ändern. Die meisten suchen Hilfe in den gleichen Fragen, wie alle anderen Klienten auch. Zusätzlich brauchen manche psychologische Unterstützung beim "Coming Out" oder um mit Diskriminierung und Vorurteilen besser umgehen zu können.
Warum ist es wichtig, dass die Gesellschaft besser über Homosexuelität
aufgeklärt wird?
Man muss die Leute über sexuelle Orientierung und Homosexualität aufklären, damit Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben endlich abgebaut werden. Genaue Information über Homosexualität ist besonders wichtig für Jugendliche, welche mit der eigenen Sexualität noch nicht zurecht kommen; die Angst, ihre sexuelle Orientierung könnte damit bereits beeinflusst werden, ist absolut ungerechtfertigt.